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Zwischen Nachhaltigkeit und Herausforderung: Die Evolution der Unverpackt-Shops in der Schweiz

18. März 2024

Artikelserie «Verpackungs(wahn)sinn» – Teil 3: Von den rund 60 Läden, die noch vor zwei Jahren schweizweit in städtischen und ländlichen Regionen verpackungsloses Einkaufen anboten – vor allem im Bereich Lebensmittel – sind nach Schätzungen der Unverpackt-Szene inzwischen mehr als ein Dutzend wieder verschwunden. Das bedeute aber nicht, dass «Unverpackt» einpacken müsse, heisst es. Dies berichtet LID.ch.

Ab 2017 entstanden die ersten Unverpackt-Shops in Zürich, Bern und Basel. Einzelpersonen, Gruppen, Vereine und Genossenschaften haben dieses alternative Einkaufsangebot gewissermassen als Aktion der Tat gegen den bedrohlich anwachsenden Plastikmüll initiiert. Ladengründungen boomten interessanterweise während der Covid-Pandemiejahre. Vielleicht als Reaktion auf Endzeitdepressionen. Erforscht ist das nicht.

Die Geschäftsmodelle der Unverpackt-Shops sind inzwischen ausgereifter und effizienter geworden. Viele Läden haben sich mit anderen vernetzt. Das erzeugt Gruppendynamik und hilft den Betreiberinnen und Betreibern bei der Konsolidierung ihrer Geschäftsideen.

Unverpackt einkaufen ist aufwendiger als das Einweg-Plastiktüten-Shoppen

In den Unverpackt-Läden bringt die Kundschaft selbst die Einkaufsbehältnisse mit. Das können Stoffsäcke, Einkaufskörbe, Gläser oder Vorratsdosen sein. Eben alles, was sich fürs nach Hause bringen der Einkäufe mehrfach oder unbeschränkt einsetzen lässt. Denn Unverpackt-Fans kaufen bewusst nachhaltig ein und wollen nach ihrer Devise keinen unnötigen Abfall hinterlassen. Das erfährt man in den Unverpackt-Läden, wenn man die Kundinnen und Kunden nach ihrer Motivation fragt. Denn diese Art des Einkaufens ist aufwendiger als das Einweg-Plastiktüten-Shoppen und es braucht einen klaren Willensentscheid.

Trockenprodukte aller Art wie Pasta, Hülsenfrüchte, Müesli, Mehl, Gewürze, Nüsse, Tee und Kaffee gehören zum Grundsortiment eines Unverpackt-Shops. Typisch unverpackte Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Brot zählen ebenfalls dazu. Vermehrt tauchen auch Nonfood-Produkte wie Kosmetika und Haushaltsmittel in den Sortimenten auf. Zudem bieten viele Shops Flüssigprodukte wie Frischmilch, Hafermilch, Speiseöle und diverse Säfte an. Vereinzelt gibt es auch unverpackte Tiernahrung.

Lädelisterben bei den Unverpackten?

Das Lädelisterben bei den Unverpackten ist am Ende der Covid-Pandemiejahre verschiedentlich angesagt worden. Das Fernsehen SRF machte im Dezember 2022 bei Betreiberinnen und Betreibern von Unverpackt-Shops eine Umfrage zum Geschäftsgang. Fazit: Nach unerwarteten Erfolgen während der Pandemiezeit brachen die Umsätze massiv ein. «In der Coronazeit hatte Essen und Einkaufen noch einen anderen Stellenwert», sagte ein Befragter, «nun aber haben die Menschen wieder weniger Zeit – nach jeder Lockerung der Massnahmen haben wir an Umsatz verloren.»

Sparen bei den Lebensmitteln, Angst vor Energieknappheit und steigende Strom- und Ölpreise seien mit ein Grund für das Fernbleiben der Kundschaft in den Unverpackt-Läden, resümierte das Fernsehen. Aber auch die Konkurrenz durch die Grossverteiler im Detailhandel, die das Unverpackt-Potential bei ihrer Käuferschaft entdeckten und durch eigene verpackungslose Angebote aktivierten, habe das Leben des Unverpackt-Kleinhandels sichtlich erschwert.

Verbrauchertrends und Herausforderungen

«Unverpackt bleibt Unverkauft», triumphierte im November 2022 eine Case Study des Schweizerischen Verpackungsinstituts SVI. «Unverpackt-Läden starteten mit einem Boom und fielen seit Covidpandemie in eine tiefe Krise», heisst es in der Studie. «Hygiene-Erwägungen, Inflation, Energiekosten und Kleinmengenaufwand bringen das Konzept jetzt an seine Überlebensgrenze», heisst es in der Studie weiter. Das Konsumentenverhalten habe sich in den jüngsten Krisen verändert: «Es zeigt: Nichts schützt Lebensmittel besser als eine gute Verpackung.»

Eine steigende Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten reagiert sensibilisiert bei der Verpackung der Produkte. Das folgert der «Global Buying Green Report 2022» von Trivium Packaging, einem weltweit tätigen Zulieferer von Verpackungsmaterialien. Befragt wurden 15’000 Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa, Nord- und Südamerika.

Im Report heisst es: «Unterdessen haben 74 Prozent ihr Interesse am Kauf von Produkten in Mehrwegverpackungen bekundet. Die Verbraucher wollen Produkte in recyclebaren Verpackungen, erkennen aber auch den Wert der Verlängerung der Lebensdauer der Verpackungen durch mehrmalige Verwendung. Mehrwegverpackungen erweisen sich als vielseitige und wertvolle Lösung für Konsumgüter.» Das spricht für die Unverpackt-Shops, die einen Teil ihrer Produkte in Mehrwegverpackungen anbieten, die von der Kundschaft wieder zurückgebracht und neu aufgefüllt werden.

Das bieten die Detailhändler unverpackt an

Die Grossverteiler im Detailhandel haben das Unverpackt-Potential bei ihrer Käuferschaft entdeckt und durch eigene verpackungslose Angebote aktiviert. Wir haben bei Migros-Mediensprecher Patrick Stöpper, bei Coop-Mediensprecher Kevin Blättler, bei Lidl-Mediensprecher Sandro Kissayi und bei Aldi-Suisse-Mediensprecherin Martina Macias/LID.ch nachgefragt. Hier sind ihre Antworten:

Welche unverpackten Produkte sind aktuell im Angebot? Und ist unverpackt einkaufen in allen Filialen möglich?

Migros: Unsere Kundinnen und Kunden können viele lang haltbare Bio-Lebensmittel wie Teigwaren, Reis, Müesli, Haferflocken, Mandeln, Weinbeeren und Hülsenfrüchte in der gewünschten Menge selbst abfüllen. Neu bieten wir auch Frey Coaties an. Je nach Filiale und Artikel gibt es Unterschiede in der Nachfrage. Die Topseller sind die Haferflocken und Artikel zum Snacken, wie Nüsse. Das Projekt wurde mit fünf Pilotfilialen gestartet und mittlerweile konnte das Angebot schweizweit auf 58 Filialen ausgeweitet werden, womit wir zufrieden sind.

Coop: Coop bietet in den Supermärkten verschiedene Produkte im Offenverkauf und somit unverpackt an. Dies gilt in der gesamten Schweiz für Früchte und Gemüse, für Kleinbrote, für Eier sowie an ausgewählten Standorten auch für Nüsse, Pasta, Reis sowie Hülsenfrüchte. An der bedienten Fleisch-, Fisch- und Käsetheke darf das mitgebrachte Gefäss abgefüllt werden. Abfüllstationen für lang haltbare Lebensmittel wie Reis, Pasta oder Müesli gibt es in ausgewählten Verkaufsstellen.

Lidl: Bei der überwiegenden Mehrheit der Filialen bieten wir eine Orangensaftpresse an. Die Abfüllung erfolgt in Mehrwegflaschen, die in den Filialen zur Verfügung stehen und beim nächsten Einkauf wiederverwendet werden können. Lidl Schweiz unterstreicht damit den hohen Stellenwert des Frischebereichs und möchte seinen Kundinnen und Kunden die Möglichkeit bieten, Orangensaft frisch in der Filiale selbst zu pressen. Weitere Abfüllstationen sind derzeit nicht geplant, allerdings bieten wir dort, wo es unsere Hygiene- und Qualitätsvorschriften zulassen, unverpackte Produkte an, wie zum Beispiel in den Bereichen Obst und Gemüse oder Brot. Für unverpackte Früchte und Gemüse bieten wir mit dem «Greenbag» eine wiederverwendbare, ressourcenschonende Alternative zum Plastiksäckli an.

Aldi: Im Rahmen unserer «ALDI Verpackungsmission» haben wir uns unter anderem vorgenommen, bis 2025 den Materialeinsatz bei Verpackungen unserer Eigenmarken stark zu reduzieren, den Anteil recyclingfähiger Verpackungen weiter zu erhöhen und – wann immer möglich und sinnvoll – unverpackte Lösungen in all unseren Filialen einzusetzen. Derzeit bieten wir unseren Kundinnen und Kunden in den Bereichen Obst und Gemüse (auch Bio) sowie beim Brot unverpackte Produkte an.

Wird das Unverpackt-Angebot weiter ausgebaut?

Migros: Da das System modulartig funktioniert, können wir die Grösse der Stationen dem verfügbaren Platz anpassen. So prüfen wir fortlaufend, wo ein Ausbau der Stationen Sinn macht.

Coop: Im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt Coop unter anderem das Ziel, ein Zero-Waste-Unternehmen zu sein. Coop engagiert sich bereits seit vielen Jahren mit Nachdruck für die Verpackungsreduktion und stellt Schritt für Schritt auf nachhaltige Alternativen um. Seit 2012 konnte Coop bereits über 36’500 Tonnen Verpackungsmaterial reduzieren oder optimieren. Mit der Verpackungs-Roadmap wird Coop bis 2026 noch einmal 20 Prozent Plastik bei Verpackungen der Eigenmarken-Produkte und Einwegartikeln einsparen. Bis 2026 verfolgen wir auch das Ziel, die Verpackungen unserer Eigenmarken-Produkte unter Berücksichtigung des Produktschutzes zu 100 Prozent auf die jeweils ökologischste Verpackungsvariante umzustellen. Zudem setzt Coop von den Lieferanten bis in die Coop-Supermärkte noch stärker auf Kreisläufe, um Materialien zu recyclen und wiederzuverwenden. Bis 2026 erweitert Coop auch das Unverpackt- und Mehrwegangebot für den täglichen Bedarf.

Lidl: In über einjähriger Arbeit haben Forschende der Empa-Abteilung Cellulose & Wood Materials in unserem Auftrag eine spezielle Schutzschicht aus Cellulose entwickelt, die auf Früchte und Gemüse aufgetragen werden kann Das Ergebnis: Die beschichteten Früchte und Gemüse bleiben deutlich länger frisch. In Versuchen konnte beispielsweise die Haltbarkeit von Bananen um mehr als eine Woche, bei Gurken sogar um mehr als zwei Wochen verlängert werden. Unsere neuartige Beschichtung wird aus sogenanntem Trester – Pressrückstände von nicht verkaufsfähigem Obst und Gemüse – hergestellt und soll künftig auf Produkten von Lidl Schweiz in allen 177 Filialen zum Einsatz kommen. Durch dieses innovative Projekt können Verpackungen reduziert und Lebensmittelabfälle vermieden werden.

Aldi: Wir beobachten Markttrends wie die Entwicklungen im Bereich unverpackter Lebensmittel stets aufmerksam und gestalten unser Sortiment nach den Bedürfnissen unserer Kundinnen und Kunden. Wir prüfen zudem laufend neue Möglichkeiten, Verpackungsmaterial weiter zu reduzieren beziehungsweise zu vermeiden.

Steigt bei der Kundschaft die Nachfrage nach unverpackten Produkten oder stagniert sie?

Migros: Die Nachfrage ist auf gutem Niveau stabil.

Coop: Wir verzeichnen bei diesen Angeboten eine stabile Nachfrage.

Lidl: Das Konzept «Unverpackt» ist uns bekannt und wurde bereits bei verschiedenen Produkten getestet, beispielsweise bei Nüssen. So wurde der offene Verkauf von Nüssen über einen Zeitraum von fünf Jahren in verschiedenen Regionen und in verschiedenen Varianten zwischen 2015 und 2020 getestet. Während der Pilotphase mussten wir feststellen, dass das Angebot nur bedingt angenommen wurde und hinsichtlich der Wirkung auf unsere ambitionierten Plastikreduktionsziele keinen signifikanten Beitrag leisten kann. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, das Konzept nicht weiter zu verfolgen und stattdessen den Fokus noch stärker auf die Reduktion von Verpackungen im Allgemeinen zu legen. So können wir effektiv und effizient deutlich grössere Reduktionen im Verpackungsbereich erreichen.

Aldi: Aufgrund unseres übersichtlichen Sortiments liegen uns keine Daten vor, mit welchen wir eine verlässliche Aussage zur Nachfrage treffen können.

Könnten alle Produkte unverpackt angeboten werden oder gibt es Grenzen?

Migros: Die Migros prüft immer, ob und wo eine Verpackung Sinn macht. Wir fragen uns grundsätzlich bei jeder Verpackung immer: Können wir sie weglassen? Können wir sie reduzieren oder optimieren? Können wir sie wiederverwerten? Eine Verpackung muss dem Schutz des Produktes dienen, sowie einen höheren Hygienestandard und eine höhere Haltbarkeit garantieren. Eine Salatgurke in einer Plastikverpackung bleibt fünfmal länger frisch als eine unverpackte Gurke. Somit haben Verpackungen durchaus auch ihren Wert und helfen, das Verderben von Lebensmitteln so gut wie möglich zu unterbinden. Es gibt also Grenzen, ja.

Coop: Verpackungen können die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern und helfen so bei der Vermeidung von Food Waste. Wir verwenden beispielsweise Plastikverpackungen dort, wo es sinnvoll ist. Als Beispiele genannt werden können Blumenkohl oder Broccoli. Verpackungen dienen zudem auch dem Schutz vor Druckstellen, wobei Beeren als anschauliches Beispiel dienen. Diese verkaufen wir im Karton mit Plastikversieglung.

Lidl: Bei der Optimierung unserer Verpackungen berücksichtigen wir stets die gesamte Wertschöpfungskette – von der Herstellung über den Gebrauch bis zur Entsorgung sollen die Verpackungen die Umwelt so wenig wie möglich belasten. Bei der Entwicklung einer Verpackung werden viele Faktoren berücksichtigt, denn Verpackungen müssen die unterschiedlichsten Funktionen erfüllen: Sie verhindern Transport- und Lagerschäden, schützen das Produkt vor schnellem Verderb und tragen zur Hygiene bei. Dadurch kann die Haltbarkeit der Produkte verlängert und somit Food Waste reduziert werden. Bei der Entscheidung, ob eine Verpackung reduziert oder ganz weggelassen werden kann, muss die Haltbarkeit besonders berücksichtigt werden, da die Verpackung in der Regel weniger als 5 Prozent der Umweltbelastung eines Produktes ausmacht. Aus diesen Gründen können Verpackungen nicht beliebig reduziert und bestimmte Materialien nicht verwendet werden.

Aldi: Die Verpackung bietet primär eine Schutzfunktion für Lebensmittel. Verpackungsreduktionen sind nur sinnvoll, sofern die Lebensmittelsicherheit nicht beeinträchtigt und die Verschwendung von Lebensmitteln nicht erhöht wird.

 

Quelle: LID,ch

Veröffentlichungsdatum: 18.03.2024

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