Artikel lesen

Offener Brief der Logistikverbände: Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission muss bewahrt werden

„Wir, die Verbände Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Bundesverband Paket- und Expresslogistik (BPEX), BWVL BUNDESVERBAND FÜR EIGENLOGISTIK & VERLADER und DSLV Bundesverband Spedition und Logistik appellieren an die Sozialpartner in der Mindest-lohnkommission, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der Arbeitgeber maßgeblich zu berücksichtigen.“


Bildquelle: Pixabay

„Von den relevanten politischen Akteuren erwarten wir, die Entscheidung der Kommission zu respektieren und sämtliche Beeinflussungen der Arbeit der Kommission zukünftig zu unterlassen. Staatliche Interventionen schwächen die Sozialpartnerschaften und die Tarifautonomie.“

Mindestlohn soll Sozialpartnerschaft stärken

„Das deutsche Modell des Mindestlohns wird von den unterzeichnenden Verbänden unterstützt. Er schützt vor Ausbeutung und Lohnunterbietung und trägt damit – sofern er wirksam kontrolliert wird – zu fairen Wettbewerbsbedingungen bei. Sinnvollerweise muss der Mindestlohn dafür der allgemeinen Lohnentwicklung folgen. 

Tatsächlich ist der Mindestlohn in der Vergangenheit aber erheblich stärker gestiegen als die allgemeine Tariflohnentwicklung. Die muss bei der aktuellen Entscheidung unbedingt berücksichtigt werden. Seit 2021 ist der Mindestlohn um 34,9 Prozent gestiegen. 

Bei einer Anhebung auf 15 Euro wären es 57,9 Prozent. Dieser starke Anstieg kann auf Unternehmensseite kaum noch durch Erlös- oder Produktivitätssteigerungen kompensiert werden. In der anhaltend rezessiven Phase fehlt der Wirtschaft zunehmend die Möglichkeit, sich an weiter steigende Mindestlöhne anzupassen.

Bereits heute hat Deutschland den vierthöchsten Mindestlohn in Europa. Ein weiterer sprunghafter Anstieg des Mindestlohns würde die Wettbewerbsfä-higkeit vieler Unternehmen nachhaltig schwächen.

Mindestlohn soll Anreize für Arbeit und Arbeitsplätze schaffen

Unternehmen können ihre Mitarbeiter nur dann dauerhaft beschäftigen, wenn deren Tätigkeit die ergänzenden Arbeitgeberkosten refinanziert. Der Mindestlohn muss sich daher immer auch an der Produktivität orientieren. Sobald dies nicht mehr der Fall ist, müssen Unternehmen mit produktivitätssteigern-den Maßnahmen reagieren – oder perspektivisch den Markt verlassen. 

Bei steigenden Löhnen werden einfache, manuelle Tätigkeiten zunehmend durch Automatisierungsprozesse ersetzt. D. h., Automatisierung gefährdet die Jobdynamik vor allem im Bereich geringqualifizierter oder nicht-qualifizierter Beschäftigter. 

Auch wenn dies vereinzelt als sozialpolitisch positiv bewertet wird – da manuelle körperliche Tätigkeiten fälschlicherweise grundsätzlich mit schlechten Arbeitsbedingungen gleichgesetzt werden – muss unbedingt beachtet werden, dass damit auch der Verlust von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in einem Segment des Arbeitsmarktes verbunden ist, für den keine Beschäftigungsalternativen durch Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen geschaffen werden können. In der Folge wird sich der anhaltende Trend zur Langzeitarbeitslosigkeit fortsetzen. 

Zugespitzt erwarten wir: Bei 150 Euro netto mehr für jeden ungelernten Beschäftigten entfallen bis zu 30 Prozent der Stellen.

Mindestlohn darf den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht gefährden

Ein schnell und stärker als die allgemeine Lohnentwicklung steigender Mindestlohn führt zu einer höheren Belastung der Staatsausgaben durch Transferleistungen. 

Denn die durch Automatisierung und Marktaustritte wegfallenden Stellen werden überwiegend nicht durch Arbeitsaufnahme in anderen Branchen ersetzt. In der Paketbranche haben beispielsweise ca. 85 Prozent der Zustellerinnen und Zusteller keine abgeschlossene Berufsausbildung. Die betroffenen Beschäftigten mit geringen oder fehlenden Arbeitsmarktqualifikationen werden zum größten Teil zu Empfängerinnen und Empfängern staatlicher Transferleistungen. 

Nach Daten des Soziooekonomischen Panels (SOEP) sind in Deutschland 4,7 Mio. Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung beschäftigt (13,3 Prozent der abhängig Beschäftigten).

„Beschäftigte ohne Berufsausbildung sind keine arbeitsmarktpolitische Restgröße, die irgendwann verschwindet.“ Deshalb muss es Beschäftigungschancen für diese Personengruppe auch dauerhaft geben. Mit einem immer weiter steigenden Mindestlohn sinkt zudem der Anreiz eine – zu Beginn häufig geringer bezahlte – Ausbildung abzuschließen. Das Problem wird so weiter verschärft.

Mindestlohn soll die Kaufkraft stärken und sie nicht in Frage stellen

Ein starker Anstieg des Mindestlohns übt unweigerlich auch Druck auf die Lohngruppen mit beruflicher Qualifizierung und größerer betrieblicher Verantwortung aus. Steigende Löhne in weiteren Lohngruppen müssen betriebswirtschaftlich am Markt in Form von höheren Preisen auf die Verbraucher überwälzt werden. Es drohen ein Kaskadeneffekt und ein weiterer Inflationsimpuls. 

In ihrem Koalitionsvertrag fordern CDU/CSU und SPD, dass der Mindestlohn einen Beitrag zur Stärkung der Kaufkraft leisten solle. Dem stehen unverändert hohe Belastungen mit Steuern und Sozialabgaben entgegen. Ein Anstieg des Mindestlohns um 17 Prozent auf 15 Euro würde lediglich zu einer Netto-Lohnerhöhung um 9 Prozent führen. Wenn Beschäftigte durch den Lohn-anstieg ihren Anspruch auf Transferleistungen wie Wohngeld verlieren, wird der Zuwachs des real verfügbaren Haushaltseinkommen sogar noch geringer ausfallen.

Die Bruttolöhne sind zwischen 2017 und 2025 um 11 Prozent gestiegen, das verfügbare Einkommen jedoch nur um 2,3 Prozent. Dies zeigt deutlich, dass der Fokus des Gesetzgebers auf einer Absenkung der immer weiter steigenden Sozialabgaben liegen muss.

Mindestlohn soll den fairen Wettbewerb fördern, nicht verzerren

Produktivitätssteigerungen als Reaktion auf einen Personalkostenanstieg sind in vielen Branchen limitiert. Gleichfalls sind in einer wirtschaftlichen Rezession die Möglichkeiten zur Marktüberwälzung auf die Endkunden insbesondere in wettbewerbsintensiven Märkten begrenzt. Die Folge sind Geschäftsaufgaben und Marktkonzentrationen insbesondere zu Lasten des Mittelstands.

Die unterzeichnenden Verbände appellieren daher an die Sozialpartner und die politischen Entscheidungsträger:

  • Bewahren Sie die Unabhängigkeit der Tarif- und Sozialpartner in den gemeinsamen Verhandlungen – insbesondere innerhalb der Mindestlohnkommission.
  • Die Löhne müssen durch ein Absenken staatlicher Abgaben (Steuern und Sozialabgaben) entlastet werden, anstatt die Unternehmen durch einen im Vergleich zur allgemeinen Lohnentwicklung steigenden Mindestlohn zu belasten.
  • Der Anstieg des Mindestlohns muss dem Niveau des Produktivitätsfortschritts der Wirtschaft entsprechen.
  • Um nachhaltige Lohnsteigerungen zu ermöglichen, müssen schnell die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden – durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur oder eine Entbürokratisierung des Arbeitsrechts.

Weitere Informationen.

 

Quelle: BGL

Veröffentlichungsdatum: 18. Juni 2025