fruchtportal.de
Klimagipfel für Landwirtschaft und Esskultur

Schweiz: „Ehrliches“ Bottom-up-System führt ins erste klimaneutrale Basiscamp

05. Dezember 2025

Der Klimagipfel in Landquart zeigte, dass klimaneutrale Landwirtschaft ein Systemdenken verlangt – von Ernährung und Produktion über betriebliche Praxis bis hin zu politischen Rahmenbedingungen. Der Bündner Weg liefert erste Antworten und macht Mut für den nächsten Schritt, berichtet der Landwirtschaftliche Informationsdienst (LID). 

Klimaneutrale Landwirtschaft beginnt nicht erst im Stall oder auf dem Feld, sondern auch auf dem Teller. Genau diese Systemsicht prägte den Auftakt des Klimagipfels in Landquart: Was essen wir künftig – und wie muss sich die Produktion dafür verändern?


Am 28. und 29. November 2025 fand in Landquart im Kanton Graubünden der Klimagipfel für Landwirtschaft und Esskultur statt. (Foto © Giorgio Hösli)

Ernährung 2050: Die grossen Hebel liegen nicht nur auf dem Acker

Gabriele Schachermayr, Vizedirektorin des Bundesamts für Landwirtschaft, stellte gleich zu Beginn klar: Wer frage, «wie wir uns 2050 ernähren», frage nicht nach einer Prognose aus der Kristallkugel – sondern nach Leitplanken. Entscheidend sei, dass Ernährung Gesundheit und Umweltwirkungen gleichzeitig beeinflusst. 

Der Bund setze deshalb stärker auf eine Ernährungsstrategie, die Nachhaltigkeit ausdrücklich mitdenkt, auf einen Aktionsplan gegen Food Waste und auf die «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050», die das Ernährungssystem erstmals als Ganzes betrachtet.

Warum der Druck hoch ist, besser früher als später Lösungen zu finden, zeigt sie auch mit Blick auf das Klima: Die Schweiz erwärmt sich überdurchschnittlich stark und Extremereignisse, mehr Hitzetage und Trockenstress setzen unter anderem auch die Produktion unter Druck. 

In dieser Lage ist «klimaneutral bis 2050» laut Gabriele Schachermayr nicht nur politisches Ziel, sondern seit 2025 auch gesetzlich verankert. 

Für Landwirtschaft und Ernährung werden die Ziele in der Klimastrategie konkretisiert: Beitrag zur Versorgungssicherheit, deutlich weniger Emissionen entlang der Ernährung und eine Reduktion der landwirtschaftlichen Produktionsemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990.

Das Einsparpotential sei gross, wenn mehrere Hebel zusammenkommen: weniger Food Waste, mehr Effizienz in der Produktion, gezieltere Nutzung der ackerfähigen Flächen für direkte menschliche Ernährung sowie eine Wiederkäuerhaltung, die zum Grasland passt.

Gabriele Schachermayrs Kernbotschaft dabei: Das schafft keine Branche allein – es braucht Politik, Branche, Handel und Konsum.

Warum Graubünden ein eigenes Projekt startete

Gianluca Giuliani, Co-Leiter des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden», erklärte, weshalb Graubünden einen eigenen Weg ging. Graubünden spiele traditionell eine Pionierrolle – auch, weil ein Bergkanton oft gezwungen sei, Wettbewerbsvorteile über Innovation zu suchen. 

Gleichzeitig seien die Voraussetzungen im Kanton aussergewöhnlich gut: Behörden, landwirtschaftliche Organisationen und Akteure arbeiten eng zusammen, dazu kommt eine politische und gesellschaftliche Unterstützung, die Experimente ermöglicht.

Das Projekt ist als Lernreise aufgebaut: Pilotphase als «Freiluftlabor», danach Expansion und langfristig ein neues Gleichgewicht bis 2050. In der Pilotphase machten 50 Betriebe freiwillig mit. 

Ziel war nicht, sofort die ganze Landwirtschaft mitzunehmen, sondern zuerst Knowhow und Vertrauen aufzubauen. Parallel wurden betriebliche Ideen dort unterstützt, wo sie entstehen: auf dem Hof.

Wachsen und trotzdem besser werden

Die ersten Bilanzierungen zeigten: Die grossen Emissionsblöcke liegen bei Vorleistungen wie etwa Futtermittel, Methan aus der Rindviehhaltung, Beiträge aus Böden sowie fossile Energie. 

Senken und erneuerbare Energie tauchen zwar als Plus auf – aber nicht im Ausmass, das die grossen Brocken einfach «wegzaubert». Genau deshalb spricht er von vielen kleinen Stellschrauben und einem systemischen Ansatz.

Besonders aufschlussreich waren die Fallbeispiele: Manche Betriebe senkten Emissionen klar durch strukturelle Änderungen. Andere wuchsen, emittierten absolut mehr, wurden aber pro Produkteinheit besser. 

Und einige investierten stark, sahen aber kaum Bilanzeffekte, weil bestimmte Wirkungen wie beispielsweise Humusaufbau kurzfristig schwer mess- oder anrechenbar sind. 

Für die nächste Phase – die Expansion Richtung 500 Betriebe – leitete Gianluca Giuliani ab, dass Freiwilligkeit zentral bleibe, Massnahmen zum Betrieb passen müssten – und dass es ohne angemessene Entschädigung nicht geht.

Hoffnung aus der Praxis

Meisterlandwirt Marcel Heinrich vom Biohof Las Sorts und sein ehemaliger Lehrling Clau Deplazes gaben dem Thema eine persönliche, praktische Ebene. Clau Deplazes beschrieb die Spannung: Hoffnung geben, ohne die Klimakrise kleinzureden.

Marcel Heinrich nannte den Hitzesommer 2003 als Wendepunkt. Er wollte den Betrieb widerstandsfähiger machen und Emissionen senken. Ein Hebel ist für ihn die Vermeidung von Food Waste, gerade in der Direktvermarktung. Zentrum seiner Arbeit ist ausserdem der Boden.

Er schilderte, dass Bodenbiologie in der Praxis oft unterschätzt wird. Im Projekt halfen Austausch und neue Ansätze wie beispielsweise der Einsatz von Komposttee und mikrobielle Anwendungen. 

Neben möglichen Effekten auf Pflanzengesundheit und Stallmilieu hatte das für ihn einen wichtigen Nebeneffekt: Man beobachte genauer, gehe wieder häufiger hinaus und diskutiere Erfahrungen.

Clau Deplazes betonte den Wert von Arbeitskreisen: Dort könne man offen über Misserfolge sprechen. Zudem entstand eine engere Verbindung zu Forschung und Beratung. 

So wird der Hof zu einem Ort, an dem Wirkung besser messbar wird – und wo Praxis und Wissenschaft voneinander lernen. Die Hoffnung liege nicht in einfachen Schwarz-Weiss-Lösungen, sondern in kluger Einbettung und Systemdenken.

Klimaneutrale Landwirtschaft beginnt nicht erst im Stall oder auf dem Feld, sondern auch auf dem Teller. Genau diese Systemsicht prägte den Auftakt des Klimagipfels in Landquart: Was essen wir künftig – und wie muss sich die Produktion dafür verändern?

Was kommt nach fünf Jahren «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden»?

Am Ende des Klimagipfels stand kein Schlussstrich, sondern ein Übergang. In der Podiumsdiskussion wurde deutlich: Die fünfjährige Pilotphase hat nicht «die» klimaneutrale Landwirtschaft geliefert – aber sie hat ein Fundament geschaffen, auf dem sich weiterbauen lässt.

Und sie hat gezeigt, was es braucht, damit aus ambitionierten Zielen reale Veränderungen werden: Orientierung, Vertrauen und Rahmenbedingungen.

Erfolg messen – und die Grenzen von Zahlen verstehen

Ein wiederkehrendes Thema war die Bilanzierung. Daniel Bretscher von Agroscope erinnerte daran, dass Landwirtschaft kein Motor ist, bei dem man hinten Abgase misst und damit alles erklärt. Er verglich Klimabilanzen mit Navigation auf See: Zahlen sind ein Kompass – hilfreich zur Orientierung, aber immer mit Unsicherheiten, Momentaufnahmen und externen Einflüssen verbunden.

Gerade deshalb dürfe man sie nicht als Urteil verstehen, sondern als Werkzeug, um den Kurs zu justieren. Gleichzeitig betonten die Diskutierenden, warum Zahlen politisch so wichtig sind: Wo öffentliche Mittel fliessen, werden Wirkungen eingefordert – und die müssen verständlich kommunizierbar bleiben.

Séverine Curiger vom Landwirtschaftsbetrieb Gravas in Tinizong brachte die Perspektive aus dem Alltag ein: Für ihren Betrieb war die «Klimabrille» besonders wertvoll bei grossen Entscheiden – etwa beim Stallumbau.

Der Prozess habe geholfen, nicht einfach auf maximale Tierplätze zu planen, sondern den Betrieb gesamthaft weiterzudenken. Und: Viele Schritte gelingen nur, wenn man Verbündete hat – Nachbarn, Fachleute, Partnerbetriebe. Damit rückte sie ein zentrales Projektergebnis in den Vordergrund: Vertrauen, Zusammenarbeit und Mut, Dinge auszuprobieren.

Noch nicht auf dem Klimagipfel, aber im Basecamp – die Reise geht weiter

Daniel Bretscher sprach denn auch nicht von einem erreichten Ziel, sondern von einem Basecamp: Der Rucksack sei gepackt, Wissen aufgebaut, ein gutes «Wetterfenster» geschaffen. Nachhaltigkeit sei eine Tour über viele Etappen – man nähert sich ihr an, ohne je einen Endpunkt zu setzen.

Peter Vincenz, Direktor am Plantahof, knüpfte daran an und beschrieb, wie viel Energie in den Arbeitskreisen und Jahrestreffen spürbar wurde: Wenn etwas funktioniert, entstehen sofort neue Ideen. Dieses Feuer zu erhalten – durch Austausch, Weiterbildung und sichtbare Beispiele – wurde als Schlüssel für die nächste Phase genannt.

Was jetzt folgen muss: Mehr Spielraum, weniger Angst vor Fehlern

In der Diskussion wurde offen ausgesprochen, dass Transformation nicht am Wissen scheitert, sondern oft an fehlender Luft zum Atmen: Zeit, Geld, Risikoabsicherung. Daniel Bretscher nannte es einen Marathon, für den alle trainieren müssen – Betriebe, Politik, Konsum und Verarbeitung. 

Damit Betriebe den «Abenteuergeist» entwickeln können, brauche es Handlungsspielräume und die Möglichkeit, auch Rückschläge auszuhalten. Und genau das sei mit dem Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» auf vielen Ebenen gelungen – auch dank eines «ehrlichen» Bottom-up-Systems, bei dem die Betriebe ihre eigenen Ideen verfolgen und verwirklichen durften, unterstrich Peter Vincenz. 

Er betonte in diesem Zusammenhang die Rolle des Plantahofs als Vorbild- und Bildungsort: nicht nur erklären, sondern befähigen – mit Demonstrationen, Beratung und einer Lernkultur, die Scheitern nicht bestraft, sondern als Teil der Entwicklung versteht.

Auch Daniel Buschauer vom Amt für Landwirtschaft und Geoinformation des Kantons Graubünden blickte nach vorn: Die Pilotphase habe Innen- und Aussenwirkung entfaltet, das Thema sei in der Landwirtschaft angekommen. Nun gehe es darum, die Grundlagen für das Ausrollen zu nutzen und das Projekt mit den politischen Rahmenbedingungen zu verzahnen – etwa mit dem kantonalen Klima- und Innovationsgesetz. 

Wichtig sei, neue Förderungen so zu gestalten, dass kein administratives «Nebensystem» entsteht, sondern dass man so nah wie möglich an bestehende Instrumente andockt. Gleichzeitig sollen Forschung und Entwicklung weiter Teil des Weges bleiben – als «Freiluftlabor», in dem Massnahmen getestet, angepasst und in die Breite übersetzt werden können.

Ein gemeinsames Bild für die nächsten Jahre

Zum Schluss zeichnete das Podium eine Zukunft, die nicht durch eine einzelne Technologie geprägt ist, sondern durch Vernetzung – zwischen Boden und Pflanze, Betrieb und Forschung, Produktion und Gesellschaft. Klimaschutz in der Landwirtschaft, so Daniel Bretschers Fazit, ist nicht nur eine technische Frage, sondern vor allem eine Frage des Mindsets. Die Pilotphase hat dieses Mindset in Graubünden sichtbar gemacht. 

Was nun folgt, ist die eigentliche Bewährungsprobe: Aus Pionierarbeit eine breite Bewegung zu machen – Schritt für Schritt, mit Mut, Wissen und einem System, das Veränderung ermöglicht.

Denn der Bündner Weg ist kein Shortcut. Aber er zeigt, wie Klimaziele, Betriebspraxis und Lernen zusammenkommen können – wenn man Emissionen nicht nur zählt, sondern Veränderung ermöglicht.

Weitere Informationen.

 

Quelle: LID

Veröffentlichungsdatum: 05.12.2025

Fruchtportal © 2004 - 2025
Online Fachzeitschrift für den internationalen Handel mit frischem Obst und Gemüse