
Schweiz: Soziale Landwirtschaft als Ort der Begegnung und Perspektive
Menschen in schwierigen Lebenssituationen aufnehmen und ihnen auf dem Bauernhof neue Perspektiven bieten – das ist die Idee von Care Farming.
Foto © LID
Auf dem kleinen Hof Maligi in Muriaux JU zeigen der Gemüsebauer Dylan Oliveira und Jean-Marc Bovay, Präsident der Vereinigung Agriculture sociale Suisse romande, wie soziale Landwirtschaft als Chance für Mensch und Betrieb funktionieren kann, berichtet der Landwirtschaftliche Informationsdienst (LID).
Gewissenhaft und ruhig arbeiten sie in der Morgensonne, beschäftigt mit Ernten, Putzen, Ausliefern, dann wieder Pflanzen – bevor die Hitze zu gross wird und sie sich zum gemeinsamen Mittagessen in den Schatten zurückziehen. So läuft es an diesem Juni-Tag auf dem Hof Maligi in den Freibergen des Kantons Jura.
Dylan Oliveira (31), Gemüsegärtner und sozialpädagogischer Assistent, Thibaud Willemin (34), Gemüsegärtner, Pierrick Nussbaumer (36), Gemüsegärtner und Gebäudetechnik-Ingenieur, und Chiara Paoli (27), Gemüsegärtnerin mit einem Abschluss in Sprachen sind zusammen mit einer sozio-kulturellen Betreuerin sowie vier betreuten Personen anwesend.
Im Takt von Lieferungen und Märkten
«Wir haben zwei bis vier Erntetage pro Woche und verkaufen auf drei Märkten, dazu kommen zwei wöchentliche Lieferungen an Restaurants, Molkereien, Lebensmittelläden und Hofläden sowie Abokisten, die wir donnerstags direkt verkaufen», erklärt Dylan Oliveira.
Er ist Initiator des Aufnahmeprojekts, nachdem er mit 18 Jahren auf einigen hundert Quadratmetern Land seiner Grosseltern gestartet war. Seit 2021 ist sein Betrieb offiziell als Landwirtschaftsbetrieb anerkannt.
Gemeinsam mit seinen Partnerinnen und Partnern betreibt er Gemüsebau, hält einige Schafe und Legehennen und verkauft Kräuterprodukte, Konfitüren und Sirup. Zudem arbeitet Dylan zu 20 % weiterhin als sozialpädagogischer Assistent in einem Wohnheim in Cugy VD.
In Partnerschaft mit den Sozialdiensten
Die vier Verantwortlichen leben auf dem Hof oder in dessen Nähe. Tagsüber sind zwei- bis dreimal pro Woche Mitarbeitende der jurassischen und bernjurassischen Sozialdienste vor Ort.
Das ergibt eine Gemeinschaft von insgesamt acht bis neun Personen, die Menschen in beruflicher Wiedereingliederung für ganze oder halbe Tage betreuen.
Der Einsatzplan wird mit ihren Sozialarbeitern oder IV-Beratern festgelegt. «Wir selbst werden von Fachpersonen aus Pädagogik und Pflege geschult, um unsere Briefings zu verbessern oder administrative Aufgaben zu unterstützen – etwa bei der Suche nach einem Zahnarzt oder Arzt –, Dinge, die wir allein nicht leisten könnten», erklärt Oliveira.
Eine Alternative zu den üblichen Massnahmen
Angesichts von Vorbehalten oder Ängsten in bäuerlichen Familien betont er die vorsichtige Vorgehensweise auf dem Hof Maligi: «Wir gehen schrittweise vor – mit einem Probetag oder sogar nur einem halben Tag. Während es mit Heimen schnell gehen kann – sie treffen jemanden, besprechen das Profil und denken vielleicht an uns –, kommen die Sozialdienste meist später auf uns zu, wenn andere Wege gescheitert sind. Dann wird die Arbeit auf dem Hof als Alternative angeboten. Vor Ort – bei uns – bestimmt die Person dann ihre Ziele, Besuchsfrequenz usw.»
Soziale Ader statt sozialer Status
«Wir hatten von Anfang an diese soziale Ader», erzählt Dylan Oliveira. «Und durch Mundpropaganda – selbst bevor wir mit Sozialdiensten arbeiteten – konnten wir unser Glück teilen, dieses Stück Erde bewirtschaften zu dürfen. Mit Menschen, die sich erholen wollten.»
Strukturen von öffentlichem Nutzen?
Erst vor kurzem hat Dylan von der neuen Vereinigung Agriculture sociale Suisse romande erfahren: «Ich war überglücklich. Es ist grossartig, dass es ein Netzwerk gibt, das uns gegenseitig unterstützt und politisch für die Anerkennung des riesigen Potenzials der Landwirtschaft im Bereich Reintegration und Betreuung kämpft. Seit Jahren fordern wir eine Entlohnung als anerkannte soziale Aufnahmestelle.
Bisher machen wir das alles ehrenamtlich – trotz der physischen und psychischen Belastung. Die Sozialdienste sind sehr zufrieden mit uns, aber diese Legitimation muss nun zu einer Anerkennung unseres Hofs Maligi als gemeinnützige Struktur führen.»
Quelle: LID
Veröffentlichungsdatum: 16.07.2025